Hongkong
- Louis Heinis
- 2. März
- 18 Min. Lesezeit
Nach drei Monaten mussten wir Thailand verlassen. Es war an der Zeit, weiterzuziehen. In Asien gab es noch sechs weitere Länder auf unserer Liste, welche wir gerne einmal besuchen würden.
Unser nächster Stopp, die Sonderverwaltungszone Hongkong, gehörte definitiv nicht dazu.
So gerne würden wir mal auf die Philippinen fliegen. Da die Philippinen jedoch aus unzähligen Inseln bestehen, mit Kind und Kegel nicht einfach zu bereisen sind, war und ist das aktuell nichts für uns. Dieses Abenteuer muss wohl noch ein bisschen warten. Nepal und Tibet würde ich meinerseits tatsächlich auch gerne einmal besichtigen. Aber mit Kind und Kegel durch das Himalaya-Gebirge zu ziehen scheint mir ein bisschen zu waghalsig und wäre dann wohl das „End-Level“ in unserem Abenteuer-Reise-Spielchen. Auch diese Reise ist aktuell sehr unrealistisch.
Lustige Gedanken kommen mir da in den Sinn. Ich stelle mir gerade vor, wie die Kinder, Edisa und der Bollerwagen, jeweils auf einen Esel gebunden, durch das steinige Gebirge in Nepal ziehen.
Auch wenn ich gerne mal sage, dass alles möglich ist, bleibt dieses Abenteuer doch eher nur eine romantische und witzige Vorstellung. Dann gäbe es da noch Laos und Kambodscha auf unserer Reisewunschliste. Beide Länder würden wir gerne einmal bereisen. Wir befürchteten allerdings, dass wir uns dort wohl nicht anders fühlen würden als in Vietnam. Wahrscheinlich wären wir dort sogar noch größere Exoten, noch ausgestellter und würden wohl wieder mit Armut und Leid konfrontiert werden. Alles reine Spekulation. Abgesehen von der Armut. Kambodscha gilt als eines der ärmsten Länder. Und zu guter Letzt wäre es sehr wahrscheinlich auch Komfort technisch wieder eine grenzwertige Geschichte. Ich habe zwar gelernt, niemals nie zu sagen. Aber uns war einfach nicht danach.
Wir sehnten uns nach Zivilisation und einem „westlicheren“ Lebensstil. Die verwahrlosten Kinder, welche barfuß am Straßenrand in Sapa saßen, haben uns gereicht.
Somit blieben auf unserer Asienliste noch zwei Länder übrig. Südkorea und Japan. Japan war für uns, stand damals, interessanter. Wir nahmen also Japan ins Visier. Allerdings machten wir davor noch einen kurzen Abstecher nach Hongkong. Es lag auf halbem Wege. Ein „Stopover“ in Hongkong, war deutlich günstiger als direkt nach Japan zu fliegen. Also schauten wir uns noch ein paar Tage Hongkong an. Jaja, tatsächlich schauten wir uns Hongkong länger an, als uns lieb war. Und günstiger war es dann doch nicht.
„Es geht zu den Chinesen. Gott, oder sonst wer, steh mir bei, dass ich das überstehe“, sagte ich zu Edisa, als ich den Flug mit der Kreditkarte bezahlte.
So gerne einmal würde ich einen Teil der Chinesischen Mauer sehen, oder auf dem Mekong durch China schippern. Doch nach diversen schlechten Erfahrungen, haben wir uns dazu entschieden, dass das wohl bei einem Traum bleiben wird. Zahlreiche übergriffige, respektlose und absolut ekelhafte Momente mit chinesischen Touristen sind der Grund für diese Entscheidung. Natürlich, natürlich, ist mir schon klar, sollte man nicht pauschalisieren und alles und jeden in einen Topf werfen. Absolut verständlich und in der Theorie bekannt. Aber eben nur in der Theorie.
Manchmal bin ich halt auch praktisch veranlagt. Fakt ist, dass eine solche Reise nichts für uns ist.
Nennt mich rassistisch, ignorant oder sonst etwas, aber für mich gibt es diesbezüglich keine Grauzone mehr. Auf Kinder begrabschende, mir vor die Füße spukende Menschen, welche beim Essen schmatzen, schlürfen und rülpsen, kann ich verzichten. Da bin ich raus. Ich setzte dementsprechend große Hoffnungen in Hongkong und betete, dass wir diese Reise nicht bereuen werden. Es soll deutlich moderner und westlicher sein und wenig mit China zu tun haben, hörte ich. Jemand nannte es das bessere China. Ich werde dies sehr wahrscheinlich nie überprüfen können, was eigentlich auch vollkommen egal ist. Politisch gesehen wird Hongkong jedenfalls als Sonderverwaltungszone angesehen. Es herrscht offiziell Meinungsfreiheit, steht aber dennoch unter chinesischen Pantoffeln. „Das Mutterland“, wie es sich in diversen Ausstellungen inszeniert, hat großen politischen Einfluss und ist überall präsent. Hongkong ist eine Weltstadt und gilt als wichtiger Wirtschafts- und Finanzsektor. Auf der Liste der Wertpapierbörsen nach Marktkapitalisierung ist Hongkong ziemlich weit vorn anzutreffen. 95 Prozent der Einwohner Hongkongs sind Chinesen mit überwiegend kantonesischer Muttersprache. Die ehemalige britische Kronkolonie wurde 1997 an die Volksrepublik China unter Beibehaltung einer freien Marktwirtschaft und zugesagter innerer Autonomie übergeben. Hongkong ist ein „Land“ mit zwei Systemen.
Wir lernten beide Systeme kennen. Das moderne, meinungsfreie Hongkong, sowie das traditionelle, uns nicht mundende China.
Der erste Eindruck war ehrlicherweise gar nicht so verkehrt. Abgesehen von "Hongkong Express", eine billige Fluggesellschaft, welche uns quasi nach Hongkong brachte und uns vor dem Start schon auf den Senkel ging. Am Flughafen gekaufte Ware (Wasser und Sandwiches) durfte an Board nicht gegessen werden. Ausschließlich von Hongkong Express verkaufte Ware durfte man also an Board essen und trinken. Frech.
Wow. So weit sind wir nun schon. Das war uns neu. Eigentlich bin ich ein Freund von "Hausrecht". Aber wir haben kurz vor dem Abflug, direkt beim Gate, überteuerte Starbuckssandwiches gekauft. Irgendwo hört der Spaß dann auf.
In Hongkong angekommen, erlebten wir erst einmal nichts Negatives. Wir hatten eine angenehme Uber-Fahrt zum Hotel. Unser Fahrer war sehr freundlich und wohl ein sehr weltoffener, informierter Mensch. Er fragte mich über meine politische Meinung zu Deutschland und der Welt. Es war ein angenehmes, interessantes Gespräch. „Wir lachen hier über die deutsche Politik“, meinte er zu mir. „Scholzi and the green party are ridiculous“. Erstaunlicherweise wusste er ziemlich gut über die aktuelle Situation in Deutschland Bescheid (Stand Oktober 2024). Sosehr der Mann auch recht hat, was den Kasper im Kanzleramt und seine noch mitregierenden grünen „Freunde“ angeht, war ich mir nicht sicher, was ich davon halten sollte.
Machs wie die Asiaten, Louis. Immer schön lächeln. Schauen wir mal, wie lange du in deinem „freien Hongkong“ noch „durch die Welt predigen“ darfst, dachte ich mir in diesem Moment und schmunzelte vor mich her. Böser Louis.
Dennoch war es ein nettes Gespräch. Es blieb eines von zwei Gesprächen während unseres 6-tägigen Aufenthaltes in Hongkong. Englisch ist auch hier so eine Sache. Ab und zu musste man sich mit Hand und Fuß durchschlagen. Das hätte ich nicht gedacht, wenn man die Geschichte Hongkongs und den britischen Einfluss in Betracht zieht. Wir befanden uns wieder einmal in einem Großstadtdschungel, wo die Interaktionen mit fremden Mitmenschen wohl überall auf der Welt ein bisschen weniger stark vertreten sind als in ländlicheren Gebieten. Es war mir aber auch ganz recht. Wir wohnten bzw. übernachteten in einem günstigen Hotel im Zentrum. Es hätte tatsächlich günstigere Übernachtungsmöglichkeiten gegeben. Allerdings erinnerte mich das alles von der Atmosphäre her ein wenig an das Appartement in Haiphong (Vietnam).
Damals habe ich mich schon über die „China Wohnblock-Atmosphäre“ beklagt. Nun in die Höhle des Löwen einzumarschieren ist wohl nicht sonderlich schlau.
Auf Sardinenbüchse hatten wir keine Lust. Wir haben uns für einen Hotelaufenthalt entschieden. Platz zu haben, ist in Hongkong Luxus. Jeder Quadratmeter ist wohl Gold wert. Unser Zimmer war in Ordnung und es war größer und günstiger als die Abstellkammer in Singapur. Sauber war es auch. Dementsprechend waren wir zufrieden. Wir erreichten das Hotel gegen 20 Uhr abends und waren sehr hungrig. Also nichts wie los. Ab ins Getümmel. Wir suchten uns etwas zu essen. Ich hörte von einigen Hongkong- und Chinareisenden, dass hier im Vergleich zu China wohl nicht gedrängelt wird. Pustekuchen. Wir suchten ein belebtes Restaurant ums Eck auf. Es war voll und wir mussten draußen einige Minuten warten. Dort erlebten wir allerdings schon das erste Gedrängel. Beim Vorbeilaufen rotzte dann noch ein älterer Herr auf den Bürgersteig, direkt neben meine Füße. Ja, keine zehn Minuten verbrachten wir auf den Straßen Hongkongs, und ich hatte die Nase schon voll, bevor der ganze Spaß überhaupt losging.
Aha, das sind dann also die zivilisierten „Chinesen“. Das wird ja witzig werden.
Von außen und von der Speisekarte her machte es zwar nicht den Eindruck, doch wir wurden von einer englischsprechenden Bedienung, welche allerdings nicht sonderlich freundlich war, bedient. Es kann auch sein, dass die anderen drei Serviceangestellten keine Lust hatten, uns zu bedienen. Sie tuschelten irgendetwas, bis sich dann einer von dem Trio dem unseren erbarmte. Das Essen war in Ordnung. Es gab frittiertes Tier mit Kraut. Simpel und gut. Wir hatten nichts zu beanstanden.
Miau Miau. Spaß bei Seite. Es gab Hündchen. Ich meine natürlich „Hühnchen“. Was so ein, zwei Buchstaben gleich für einen Unterschied machen.
Am nächsten Tag machten wir es eigentlich so, wie wir es immer machen. Einfach mal planlos drauflos um die Häuser ziehen war angesagt. Meistens hält sich unser Sightseeing-Programm in Grenzen. Oder mit anderen Worten gesagt, lassen wir uns gerne treiben. Hätten wir bloß Ohrenschützer dabeigehabt. Nach drei Monaten auf einer ruhigen Insel wurden wir von dem Lärm und den Eindrücken erschlagen. Hallo, Reizüberflutung.
Wir schlenderten durch die Stadt, Richtung „Avenue of Stars“. Der asiatische „Hollywood Walk of Fame – Abklatsch“ befand sich an einer sehr modern gebauten Promenade am Meeresufer. Auf der gegenüberliegenden Meeresseite war Hongkong Island mit diversen Gebäuden und Hochhäusern zu sehen. Wir schlenderten dem Ufer entlang, begutachteten irgendwelche asiatischen Filmstar-Handabdrücke und liefen Richtung „Bruce Lee Statue“. Wir liefen und liefen, und irgendwann veränderte sich die Atmosphäre. Es sah nicht mehr touristisch aus. Auch nicht mehr besonders einladend. Schon gar nicht zum Flanieren. Es machte den Eindruck, als würden wir bald auf die Autobahn auflaufen. Mit dem Bollerwagen wäre das nach Hanoi wohl die nächste Stufe. Muss allerdings nicht sein. Zurück zum Thema. Wir haben doch tatsächlich Bruce verpasst und sind wohl eiskalt an ihm vorbeigelaufen. Aus irgendeinem Grund dachte ich, dass die Statue wohl ein bisschen größer sei. Doch Bruce war klein. Wahrscheinlich hat man den guten Bruce in Originalgröße hin gemeißelt. 1,40 cm. Spaß bei Seite. An der Uferpromenade war einiges los. Hätte ich doch besser aufgepasst, genauer hingeschaut und mich nicht von der riesigen Menschenmasse bzw. den zahlreichen Reisegruppen ablenken lassen. Bruce wäre so vielleicht ersichtlich gewesen. Hätte, hätte Fahrradkette.
Wie konnten wir das nur verpassen? Diese Frage stellten wir uns bald erneut. „Weißt du noch damals in Hongkong? Wie konnten wir nur?“
Die zahlreichen ungelenkigen Deppen, die vor der Statue irgendwelche „Kung-Fu Moves“ machten und wild durch die Gegend fuchtelten, als wären Sie von einem Bienenschwarm attackiert worden, wären vielleicht, aber auch nur vielleicht ein Indiz gewesen, dass wir uns an der berühmten „Bruce Lee Statue“ befanden. Na ja. Ich dachte, das wäre normal in Hongkong. „Haaaiii aaaa!“. Aber ernsthaft jetzt. Starbucks war schuld. Die geldgeile Kaffeefabrik, welche ich zu lieben gelernt habe (im Notfall weiß man nämlich, was man dort hat bzw. erhält) stiehlt Bruce ein wenig die Show. Er kommt neben diesem Gebäude nicht gut zur Geltung. Wir haben ihn einfach nicht gesehen. Punkt. Auf dem Rückweg entdeckten wir ihn dann.
Ich habe den kleinen Bruce gesehen. Schön war es. Nichts wie weg, bevor man noch getreten wird.

Da ist er. Der "große" Bruce Lee.
Am dritten Tag in Hongkong machten wir uns auf den Weg Richtung Peak. Wir sind auf Hongkong Island zur Peak Station gefahren, kauften dort Tickets für das „Peak-Tram“ und genossen eine ziemlich steile Fahrt den Peak hinauf. Oben angekommen, konnten wir eine spektakuläre Aussicht über Hongkong genießen. Gut drei Stunden verbrachten wir auf dem „Gipfel“. Als wir am frühen Abend wieder an der „Talstation“ ankamen, liefen wir in den gegenüberliegenden Park und fanden einen schönen Spielplatz, auf welchem sich die Kinder noch ein wenig austoben konnten. Die Parkanlage war eine schön erstellte Grün-Oase. Sehr gepflegt. Auch öffentliche Toiletten in einem sauberen Zustand fanden wir vor. Ein gelungenes Spielplatzerlebnis. Bei Einbruch der Dunkelheit erhellten zahlreiche Laternen den Spielplatz, sodass man nicht gleich „nach Hause“ gehen musste. Daumen hoch, Hongkong. Generell findet man zahlreiche schöne Park- und Grünanlagen in Hongkong. Ich glaube, die Regierung gibt sich diesbezüglich sehr viel Mühe, den Leuten einige top gepflegte Ruheoasen zur Verfügung zu stellen, damit Sie dem Großstadtdschungel ein wenig entfliehen können.
Oder Sie versuchen dadurch, die Suizidrate zu verringern. Wer weiß, wer weiß.
Die Aussicht auf dem Peak war wunderschön. Die steile Fahrt mit dem Peak-Tram hingegen abenteuerlich.
Am nächsten Tag machten wir uns erneut auf den Weg nach Hongkong Island. Ein Kindertag stand auf dem Programm. Wir besuchten den „Hongkong Oceanpark“. Der Park ist quasi ein Zoo mit Fahrgeschäften. Ziemlich cool. Es gibt dort eine eigene Gondel, mit welcher man zum höher gelegenen Teil des Parks fahren konnte. Dabei konnten wir eine wunderschöne Aussicht auf Hongkong und das Meer bestaunen. Die Gondeln machten mir allerdings nicht den besten Eindruck. Ich war froh, als wir oben heile ankamen. Auf dem Berg fanden wir nebst einigen Fahrgeschäften auch eine „Mini - Sea World - Version“. Wir konnten Pinguine, Seehunde und sogar ein Walross sehen. Luan ist zum ersten Mal eine Achterbahn gefahren, welche absolut nichts mehr mit einem kleinen Kinderkarussell zu tun hatte. Wie die Zeit doch vergeht. Es war ein schöner Tag.
Wir verbrachten einen schönen Tag im Ocean Park Hongkong.
Am fünften Tag, und dieser hatte es in sich, planten wir einen Besuch im „Lego Discovery Center“. Dieses entdeckten die Kinder auf dem Erkundungsspaziergang am ersten Tag. Da wir keine „Museumsgänger“ sind und dies mit kleinen Kindern sowieso oft mühsam ist, waren wir unsererseits schon durch mit Hongkong. Zwar wäre ein Pferderennbahnbesuch in Hongkong sicherlich noch eine erlebenswerte Sache gewesen, da Hongkong diesbezüglich wohl berühmt ist. Leider fand während unseres Aufenthaltes aber kein Pferderennen statt. Vielleicht auch besser so, bevor man noch aufs falsche Pferd setzte. Denn wie sich herausstellte, wurde dieser Hongkong-Aufenthalt schnurstracks ziemlich teuer. Es war kurz vor zwölf Uhr mittags. Edisa war gerade einen Kaffee holen und die Kinder spielten noch ein wenig mit ihren Spielsachen. Ich packte gerade den Rucksack, damit wir dann zeitnah Richtung „Lego Discovery Center“ aufbrechen konnten, als plötzlich das Telefon im Hotelzimmer klingelte. Überrascht nahm ich den Hörer ab und war gespannt, wieso man uns anrief. Es war die Rezeption. Eine freundliche Männerstimme fragte mich, wann wir denn „auschecken“ wollen. Er machte mich darauf aufmerksam, dass schon bald zwölf Uhr sei und die späteste „Check-Out-Zeit“ eigentlich elf Uhr sei. Ich lachte und versicherte dem Herrn, dass da wohl ein Missverständnis vorliegen muss. Der Flieger nach Tokio würde schließlich erst morgen fliegen. Wir würden also erst morgen auschecken und er hätte sich wohl am Tag geirrt. Der Mann erwiderte freundlich, dass er das nochmals überprüft und sich dann gleich nochmals bei mir melden würde. In diesem Moment wurde ich stutzig und checkte nochmals die Buchungsunterlagen. Shit! Der Flieger flog heute nach Tokio. Und zwar in 45 Minuten. Ohne uns.
Mein Herz sank mir in die Hose, das Adrenalin und mein Puls stiegen ins Unermessliche. Ich habe geflucht, was das Zeugs hält, und hätte am liebsten den Fernseher von der Wand gerissen und aus dem Fenster geschmissen.
Scheibenkleister. Wir befanden uns eine Stunde vom Flughafen entfernt. Den Flug haben wir verpasst. Aber sowas von. Was habe ich da nur gemacht? Wie kann mir so etwas passieren? Schließlich bin ich die deutsche Kartoffel. Als Edisa zurückkam, verkündete ich die frohe Botschaft und gestand ihr den Bockmist, den ich gebaut hatte. Ich machte mich auf den Weg Richtung Rezeption. Wir konnten unseren Aufenthalt glücklicherweise um eine Nacht verlängern und für den nächsten Tag einen neuen, bezahlbaren Flug nach Tokio buchen. Juhu. Als ich die Geschichte an der Rezeption geklärt hatte und gerade in den Aufzug hineinlief, rannte von hinten ein Mann an und sprang kurz bevor sich die Lifttüren schlossen, noch in den Aufzug hinein. Er lächelte dann und meinte: „Jetzt hätte ich fast den Aufzug verpasst.“
Du dummes, grinsendes „Etwas“, habe ich mir gedacht. Am liebsten hätte ich diesem Vollhonk eine betoniert. Aber der konnte ja nicht ahnen, dass seine Aussage ziemlich taktlos und fehl am Platz war.
Wir machten uns dann auf zum „Lego Discovery Center“ und verbrachten dort einen schönen Nachmittag zusammen. Einen ziemlich schönen, aber vor allem teuren Nachmittag. Aber es musste wohl so sein. Das war unser Schicksal. Und es ist doch schön, wenn man quasi für 1000 Euro ein bisschen Lego spielen konnte. Das hat der neue Flug, die zusätzliche Übernachtung, der Eintritt ins Lego Center und das Hotel am Flughafen in Japan, für die erste Nacht gekostet. Diesen Tag, ja den gesamten Hongkong Aufenthalt, werden wir wohl nie mehr vergessen.
Der Besuch im Lego Discovery Center kam uns zwar teuer zu stehen, dennoch hatten alle kleinen und großen Monster viel Spaß und eine gute Zeit.
Eine unvergessliche Begegnung
Wäschewaschen ist für Langzeitreisende eine immer wiederkehrende Herausforderung. Da der Wäscheservice meist überteuert ist und oft alles "zu Tode getrocknet" wird, bzw. aus einem lang geschnittenen XL-Shirt ziemlich schnell ein bauchfreies Shirt wird, waschen wir unsere Wäsche gerne selbst. Dazu ist es deutlich günstiger. Im Schnitt muss jeder zweite Tag eine Waschmaschine gefunden werden. Mit kleinen Kindern sammelt sich nämlich ziemlich schnell ziemlich viel Wäsche an. Und je wärmer die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit sind, desto mehr wird geschwitzt. Das heißt, Mama und vor allem Papa helfen tüchtig mit, dass der Wäscheberg ganz schnell ganz groß wird. Wäschewaschen in Asien kann im Vergleich zu "Zuhause" oftmals sehr abenteuerlich sein. Einerseits findet man Waschmaschinen in unterschiedlich hygienischem Zustand vor. Oft unschön. Bei manchen fehlen Teile des Gehäuses bzw. fehlen Abdeckungen, oder es sind irgendwelche Kabel ersichtlich, die so eigentlich nicht ersichtlich sein sollten. Andererseits kommt es in den überwiegend offenen „Waschsalons“ bzw. offen begehbaren Waschsalons des Öfteren zu "netten“ Begegnungen. Hinter unter, oder in einer Waschmaschine kann auch einmal ein Tier sein, welchem man nicht gerne begegnet. Schlangen, Spinnen und Warane müssen zwar keine Wäsche waschen, schleichen, krabbeln oder verkriechen sich aber des Öfteren auch gerne in, hinter oder unter den Waschmaschinen. Wäschewaschen in Asien ist also spannend und hat es in sich. Auch in Hongkong wurde es spannend und abenteuerlich. Wir sind in den fünf Tagen nicht drumherum gekommen, einmal Wäsche zu waschen. Ich hatte keine tierische Begegnung, um es vorwegzunehmen. Es kam zu einer positiven Begegnung, welche ich nie vergessen werde. Der Weg zum Waschsalon war jedoch weniger freundlich und bleibt mir wohl auch ewig in Erinnerung. Am dritten Abend machte ich mich also auf die Suche nach einem Waschsalon. Leider gibt es in Hongkong fast keine münzbetriebenen Waschmaschinen mehr. Der Zahlungsprozess läuft praktisch überall digital über eine sogenannte "Octopus Card". Diese hatten und kannten wir allerdings nicht. Nach einer kurzen Google-Recherche gab es wohl in der Nähe des Hotels einen Waschsalon, welcher nebst der digitalen Zahlungsvariante noch zwei münzbetriebene Waschmaschinen in petto hatte. Dieser war jedoch 20 Minuten entfernt. Mit Wäsche beladen und voller Hoffnungen zog ich abends spät durch die Gassen von Hongkong. Meine Route war abenteuerlich, wie sich herausstellte. Ich traf auf Arbeiter, die nachts versuchten, die Straßen zu reinigen, während Ladenbesitzer dreckiges Wasser und Abfälle auf die Straße warfen. Es stank und roch fürchterlich unangenehm. Ich sah tanzende, besoffene und grölende Menschen, welche zu Karaoke-Gesang (Street-Karaoke) durch die Straßen torkelten, und ich lief an zahlreichen Zelten vorbei, in welchen Wahrsager und Kartenleger die Story vom Pferd predigten. Die "Stände" waren überraschenderweise ziemlich gut besucht. Außerdem ging es vorbei an roten Lichtern und freizügigen Damen. Ja, es kam mir ein wenig vor wie in einem Film. Ich erreichte den kleinen Waschsalon dann tatsächlich auch. Leider gab es jedoch keine Münzwaschmaschinen mehr. "Google is a Bitch". Eine Erfahrung, welche wir in den letzten Monaten des Öfteren machten. Doch beklage ich mich nicht. Die Technologie ermöglicht so einiges, was vor einigen Jahren noch undenkbar schien. Also jammerte ich wie so oft auf hohem Niveau vor mich hin. Halb so wild. Auch hier benötigt man diese "Octopus Card". Der einzige Schlitz, um eine Münze hineinzustecken, war wohl mein Allerwertester. Keine angenehme Vorstellung.
Allerdings gebe ich zu, dass ich diesem super intelligenten Backfisch, welcher diese ziemlich aktuelle und wie sich herausstellte, auch falsche Googlebewertung geschrieben hatte, genau dieses Ereignis gewünscht habe.
Ich versuchte mein Glück bei den vorbeilaufenden Menschen. Der Plan war es, jemanden zu fragen, ob er seine super tolle „Octopus Card“ hinhalten könnte und ich ihm oder ihr dann das Geld in bar bezahle. Viel mehr Möglichkeiten hatte ich schließlich nicht. Bedauerlicherweise war in dieser Straße nicht viel los. Ich hatte in 15 Minuten nur elf Möglichkeiten, jemanden zu fragen. Tatsächlich haben mich überhaupt nur zwei Menschen angehört und auf meine Frage geantwortet. Der Rest lief eiskalt an mir vorbei. Zum Teil wurde die Hand erhoben und abgewunken. Zum Teil wurde man einfach ignoriert, als wäre man Luft. Von der Hälfte wurde ich nicht einmal eines Blickes gewürdigt. Ich muss vielleicht erwähnen, dass ich mit einem Wäschekorb vor einem Waschsalon stand. Ich denke nicht, dass ich einen sonderlich schrecklichen Eindruck erweckt habe. Nun gut. Kurz bevor ich aufgeben bzw. eigentlich zurückgehen wollte, betrat ein junger Mann den Waschsalon. Er konnte mir tatsächlich helfen. Leider reichte sein Guthaben auf seiner "Octopus Card" nur noch für eine Waschmaschine. Ich hatte jedoch so viel Wäsche, dass zwei Maschinen notwendig waren. Er lief extra nach Hause, weil er dort noch eine Karte mit Guthaben hatte, und kam fünf Minuten später wieder zurück, damit ich die zweite Waschmaschine starten lassen konnte. Eine sehr nette Geste. Wir setzten uns hin und quatschten ein wenig. Er heißt Dhiraj, ist 29 Jahre alt und erzählte mir, dass er vor 11 Jahren aus Nepal kam und im Baugewerbe arbeitet. Sein Großvater wurde damals in Hongkong eingebürgert. Dadurch hätte er das Recht, hier zu leben. Die Bedingungen hier in Hongkong sind sehr hart. Freundliche Interaktionen gäbe es wenig. Mittlerweile lebt er mit vier Familienmitgliedern in einer größeren Wohnung auf ca. 60 Quadratmeter. Das sei sehr gut. Die ersten Monate war es nur ein Bett in einer Abstellkammer. Damals lebte er mit 8 anderen Arbeitern in einer viel kleineren Wohnung. Er kann in diesem "Sklavensystem" tatsächlich ein Drittel seines Lohnes sparen. Alle würden sparen. Seine Familie möchte in ein paar Jahren wieder zurück nach Nepal gehen. Allerdings befürchtet er, dass das nicht der Fall sein wird, da man dann schlussendlich doch nicht genügend Geld verdient hätte, um "Zuhause" sorgenfreier zu starten bzw. zu leben. Seine Zukunft sieht wohl so aus, dass er an 6 Tagen die Woche von 5 Uhr bis 16 Uhr auf einer Baustelle in Hongkong schuftet. Er fragte mich über mein Leben und ich erzählte ihm ein wenig von mir und uns. Wo wir herkommen und was wir gerade machen. Ich habe dabei vieles vereinfacht, nicht ganz erwähnt, oder zum Teil einfach weggelassen. Ich spürte schnell, dass das fehl am Platz war. Es fühlte sich falsch an. So etwas ist für ihn unvorstellbar, meinte er zu mir. "Unvorstellbar" steht in diesem Fall als Synonym für "unmöglich" und "unerreichbar". Er erzählte mir, welche Orte und Sehenswürdigkeiten er gerne mal sehen würde. Seine Augen glitzerten. Fast alles, von dem er mir erzählte, war mir bekannt. Ich war an diesen Orten und durfte einige seiner genannten Sehenswürdigkeiten bestaunen. Ich blieb jedoch ruhig und hielt mich zurück. Ich fühlte mich schlecht. Hätte ich ihm gesagt, dass ich auf dem Eiffelturm und dem Triumphbogen stand, über die Champs Élysées lief, an Notre-Dame und dem Louvre vorbeizog und im Disneyland war, ich vor dem Buckingham-Palast stand, auf dem London Eye war und mir nach einem Pint und Fish and Chips den Big Ben anschaute, mit einer Gondel durch die Kanäle von Venedig fuhr und am Kanal Grande picknickte, ich in Bologna Pizza aß, in München am Marienplatz frühstückte, in Berlin auf dem Fernsehturm war und in Hamburg über die Reeperbahn zog, in Istanbul auf dem großen Bazar einkaufte und mit einem Boot am Bosporus entlang fuhr, in der Hagia Sophia und der blauen Moschee war, ich in den weißen Terrassen von Pamukkale badete, oder in den türkischen Bergen raften war, in Sarajevo die Olympiabobbahn herunterrannte, in Tunesien und in den Emiraten auf Kamelen ritt, ich auf dem Burj Khalifa stand und in der Wüste und im Atlantis übernachtete, dort mit Delfinen schwamm, ich mit den Skiern durch die Berge der Schweiz, Österreich und Italien fuhr und ich vor allem die Schweiz wie meine Westentasche kenne, ich in Moskau Eishockey gespielt habe, in Amsterdam, auf Ibiza, auf Mallorca am Ballermann, in Berlin und in Prag einige, unzählige, wilde Partynächte erlebte, über die Karlsbrücke zum Prager Schloss hinauf schlenderte, in Ägypten im Roten Meer schnorchelte, durch die Gassen von Marrakesch irrte, auf den Kanaren Tennis spielte, an Kroatiens und Griechenlands Stränden badete, ich unter der Freiheitsstatue stand, auf dem Empire State Building war, mit einem Helikopter über Manhattan flog, Silvester in New York feierte, im Madison Square Garden Eishockey schaute, im Central Park Schlittschuh lief, am Gran Canyon stand und einem Indianer Reservat Suppe aß, in Las Vegas zockte und heiratete, den Highway Nr.1 entlang und über die Golden Gate Bridge in San Francisco gefahren bin, auf Alcatraz an "Al Capone's" Gefängniszelle vorbeilief, in L.A. über den "Hollywood Walk of Fame" lief, ich dieses berühmte Hollywoodschild, welches in gefühlt jedem verdammten Film zusehen ist mit eigenen Augen sah, ich auf dem Skywalk in Bangkok tanzte und gefühlt jeden Tempel im ganzen Land sah, in Chiang Mai einen Wasserfall hochkletterte, drei Monate Thaiboxte, ich über den Dächern von Kuala Lumpur schwamm, die Batu Caves bestaunte, auf den Petronas Tower war, an Singapurs Marina Bay Sands und dem Merlion vorbeizog, ich auf Bali Surfen war, durch Ubuds Affenwald lief, und Schildkröten frei ließ, ich in Vietnam in einem Kokosnussschalenboot fuhr und durch Hanoi's Straßen bollerte, über die Reisfelder von Sapa schaukelte und durch die Halong Bucht schipperte, ich jetzt gerade in Hongkong bin, bald jedoch in Japan Sushi essen werde, Tokio unsicher mache, mit dem Shinkansen am Fuji vorbeifahre, durch Kyotos Gassen ziehe und in Hiroshima am Friedensdenkmal vorbeilaufen werde und ich danach nach Seoul weiter fliege, dann, ja dann wäre das einfach nur falsch gewesen.
Das Schlimme ist, dass das bei Weitem nicht alles war, was ich erlebt habe. Aber das spielte keine Rolle.
Während ich ihm zuhörte, ratterte meine Rübe. In meinem Kopf spielte sich der Film meines Lebens ab. Es gibt natürlich viele Menschen, welche noch viel, viel mehr erlebt haben. Ich habe einen Franzosen kennengelernt, der schon 7 Jahre am Reisen ist. Meine aufgezählten Erlebnisse und Besuche wären für ihn wahrscheinlich ein gemütlicher Monat. Das spielt auch absolut keine Rolle. Mir wurde in diesem Moment jedenfalls wieder bewusst, wie reich ich bin. Auch wenn ich einen Großteil dieser Erlebnisse auch mit negativen Erinnerungen verbinde, hatte ich doch die Möglichkeit, es zu sehen und zu erleben.
Am richtigen Ort das Licht der Welt zu erblicken, gesund zu sein und Perspektiven zu haben, sind wohl die höchsten Güter. Was man dann daraus macht, ist natürlich eine andere Geschichte.
Wie ein Sklave auf Hongkongs Baustellen zu "krüppeln" ist wohl die beste Perspektive für Dhiraj. Ich fühlte mich schlecht und überlegen. Ich war ruhig und stellte lieber viele Fragen und hörte ihm zu. Es war ein ernüchterndes Gespräch, über das ich mir noch lange Gedanken machte. Doch die freundliche Tat und die Hilfe von Dhiraj werde ich niemals vergessen. Wir saßen da und unterhielten uns. Zwei einfache Menschen die Wäschewaschen. Mit dem Unterschied, dass der Eine gehen kann und der andere wohl bleiben muss. Wäschewaschen in Hongkong zeigte mir, dass man selbst in der hinter letzten Gasse zu später Stunde, in einer aussichtslosen Situation, einen Menschen treffen kann, der freundlich und hilfsbereit zu einer guten Tat bereit ist. Es zeigte aber auch, dass die meisten Menschen nicht dazu bereit sind zu helfen und einfach am Geschehen vorbeilaufen. Zu guter Letzt zeigte es mir aber auch, dass diese Art von Wäschewaschen, also zu später Stunde, auf der Suche nach einem Münzwäscheautomaten durch dreckige Gassen zu ziehen, wohl auch ein Privileg ist und für die meisten Menschen unerreichbar bleibt.
Wie war es denn jetzt wirklich in Hongkong? Hand aufs Herz. Wir hatten keinen einzigen übergriffigen Moment auf die Kinder. Dass die Leute schauen, grinsen und tuscheln, kann man nicht abwenden und ist wohl überall so. Die Tage in Hongkong waren tatsächlich ganz ok. Zwar wurde gespuckt, geschlürft und gedrängelt, aber für ein paar Tage konnte man es aushalten. Vom Wohlfühlfaktor hielt es sich allerdings in Grenzen. Der Mix zwischen den vielen älteren und zahlreichen neuen, modernen Gebäuden macht Hongkong interessant. Blendet man die Menschen aus, hatte es an der Promenade zum Beispiel, optisch gesehen, einen leichten Dubai-Touch. Im Zentrum ist es dann gebäudetechnisch gesehen, doch des Öfteren wieder ein bisschen älter und heruntergekommener. Ringsherum beziehungsweise außerhalb des Zentrums gibt es zahlreiche Hochhäuser, welche auch nicht unbedingt einladend wirken. Essens technisch kann man in Hongkong viel entdecken. Auf Social Media habe ich schon vieles aus Hongkong gesehen. Meistens jedoch muss man diesbezüglich auch ein bisschen offener und experimentierfreudiger sein, wenn man nicht mit der asiatischen Küche groß geworden ist. Wir essen nun mal keine Schlangeneintöpfe oder sonstiges. Street Food, wie man es aus Thailand, Malaysia oder Vietnam kennt, ist im Zentrum von Hongkong nicht verbreitet. Zumindest haben wir in den Tagen nichts gesehen. Mit den Kindern konnten wir Hongkong kulinarisch nicht auskosten. Es gibt viele kleinere, enge Restaurants. Nicht unbedingt für Familien mit Kinderwagen gemacht. Richtig bewerten können wir die Gastronomie in Hongkong nicht. Hongkong hat schöne Parkanlagen und Grünflächen. Es war sauber. Doch es ist nicht unsere Welt und auch nicht unsere Kultur. Wir unsererseits möchten Hongkong nicht erneut besuchen.
Auf geht’s nach Japan.
Konntest du diese Zeilen lesen? Dann herzlichen Glückwunsch, dass du lesen kannst ✌️
Comments