Thailand 2.0
- Louis Heinis
- 31. Jan.
- 15 Min. Lesezeit
Nach unserem mentalen Gefühlschaos in Vietnam haben wir beschlossen, dass wir uns ein wenig ausruhen. Wir wollten es für einige Wochen ruhiger angehen lassen und weniger Reisen. Wir mussten neue Kraft tanken. Es war klar und absolut nicht überraschend, dass uns die Vergangenheit früher, oder später einmal einholen wird und wir uns der Realität stellen mussten. Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit und des Ortes.
Gut fünfeinhalb Monate dauerte es bis in Sapa, Nordvietnam, die Tränen kullerten.
Alles hinter sich zu lassen und in die große weite Welt aufzubrechen, hört sich zwar nach einem superschönen Abenteuer an, ist in der Realität allerdings oftmals auch mühsam. Mit zwei kleinen Kindern gab und gibt es viele Herausforderungen zu bewältigen, was nicht immer ganz einfach war. Die bisherige Reise kostete uns so einige Nerven und ziemlich viel Kraft. Nebst Sommer, Sonne, Sonnenschein gab es halt eben auch Regen, Flut, Blitz und Donner in Kombination mit frostigen Gefühlen.
Living the Dream! Es gilt, an Zufriedenheit und Dankbarkeit festzuhalten. Das ist einfacher gesagt als getan.
Auch wenn es von außen oftmals nicht den Eindruck erweckt, gab es zahlreiche Momente, in welchen man nicht zufrieden war. Die Erwartungshaltung wurde einige Male nicht erfüllt und man verzichtete auf Komfort. Unterkünfte, deren Beschreibungen nicht mit der Realität übereinstimmten, in Kombination mit oftmals speziellen Stimmungen bzw. komischer Atmosphären führten dazu, dass wir uns des Öfteren nicht wohlfühlten. Betten so hart wie eine Steinplatte, fehlendes Equipment, mangelnde Sauberkeit. Zahlreiche Unterkünfte waren wirklich nicht komfortabel. Drehte man sich nachts, erwachte man, weil man meinte, dass man abgestochen wurde. Dabei wurde man von der abgelegenen Knastbett-Matratze, bzw. deren Federung gepikst. Schlecht ausgestattete Küchen, fehlendes Equipment, fehlende Handtücher, keine Waschmöglichkeiten, Elektrizitäts- und Wasserprobleme und so weiter und so fort. Das waren nur einige Beispiele.
Unser Lebensstandard in Deutschland war einfach extrem hoch. Die oftmals gut bewerteten, bezahlbaren Unterkünfte in Südostasien entsprachen meistens nicht unseren Erwartungen. Wir waren oftmals weit, weit weg von unserem gewohnten Lebensstandard.
In Vietnam waren wir schlichtweg an einem Punkt, wo wir die Schnauze voll hatten. Von allem und jedem. Wir hinterfragten alles und zweifelten an unseren Reiseplänen und dem gesamten Vorhaben. Die Vergangenheit holte uns ein und machte sich bemerkbar. Es war ein ungeheurer Kraftakt, alle Zelte in Deutschland abzubrechen. Physisch jedoch vor allem auch psychisch. Die Anfangseuphorie war verflogen. Mittlerweile waren wir es satt, die Affen im Zoo zu sein. Unsere beiden blauäugigen, blonden Kinder waren hier so etwas wie Gottheiten. Ausnahmslos alle erfreuten sich an den beiden. Bilder von Luan und Enaila hängen jetzt wahrscheinlich in zahlreichen asiatischen Wohnzimmern. Nach den vielen übergriffigen Momenten hatten Sie jedoch die Nase gestrichen voll. Sie waren es satt, angegafft, angelächelt und fotografiert zu werden. Dazu reiste eine gewisse Angst, vor übergriffigen Momenten, mit. Sie hasten es, von fremden Menschen berührt und angefasst zu werden. Wir versuchten das Ganze immer abzuwenden, weil man ziemlich schnell ein gutes Gespür für diese Situationen erhielt. Wir wollten und mussten die beiden schützen. Jedoch reichte manchmal eine Sekunde der Unachtsamkeit. Gewisse ekelhafte Menschen konnten selbst beim Vorbeilaufen ihre Hände nicht bei sich behalten. Sie versuchten die Kinder völlig unerwartet und für uns nicht vorhersehbar von hinten oder der Seite noch kurz zu berühren. Unnötig, traurig und respektlos. Wir trauten niemandem mehr.
„F**k off! This is not Mickey and Mini Mouse and you are not in Disneyland“ wurde leider einer meiner Standardsätze.
Zurück zum Thema. Jeder, der schon einmal umgezogen ist, weiß, wovon ich spreche. Eine solche Veränderung hat es in sich. Bei uns kommt dann noch die Geschäftsaufgabe (Existenzaufgabe) dazu. Es gab also so einiges zu verdauen, was wir vor lauter Reisefreude einfach beiseite geschoben haben. In Sapa war es dann so weit. Gefühlsausbruch. Die Emotionen kamen wie aus einer Rakete geschossen zum Vorschein. Luan hatte das erste Mal „Heimweh“ geäußert. Wir waren unzufrieden. Alles war doof.
Da hat man die Möglichkeit frei, wie ein Vogel zu sein und hinzureisen, wo man möchte, und ist dennoch unzufrieden? Was stimmte nicht mit uns?
Ist es nicht menschlich unzufrieden zu sein und immer das zu wollen, was man nicht hat? Es hört sich ein wenig negativ an, aber ich kenne durchaus mehr unzufriedene Menschen als zufriedene. Dazu kommt, dass die Hälfte der angeblich Zufriedenen wahrscheinlich nur sagt, dass sie zufrieden sind, während die Wahrheit oft anders ist. Die negativen Gefühle hielten jedenfalls einige Tage an. In Haiphong erreichten wir den Zenit. Wir saßen in einem dreckigen vietnamesischen Hochhausapartment, quasi am Arsch der Welt, und zerbrachen uns bis 3 Uhr nachts den Kopf. Was machen wir? Wohin gehen wir?
Herzlichen Willkommen auf der Gefühlsachterbahn… bahn… bahn...bahn! Steigen Sie ein und erleben Sie eine spannende Fahrt, wie Sie sie in Ihrem Leben noch nie erlebt haben! Brettern Sie auf einem wilden Ritt mit Höchstgeschwindigkeit durch zahlreiche Höhen und Tiefen und erleben Sie eine einzigartige, nie dagewesene Ekstase, bis hin zum völligen Brechreiz und Kapitulation.
War es das für uns? Beenden wir das Abenteuer? Gehen wir zurück? Fragen über Fragen geisterten durch unsere Köpfe. Waren wir nicht dankbar genug? Nicht für das, was man hatte und auch nicht für das, was man jetzt erleben darf? Sich einfach treiben zu lassen und nicht in die Zukunft zu planen, fällt mir unheimlich schwer. Vom Typ her bin ich nicht so veranlagt. Diese Reise zwingt mich quasi dazu, daran zu arbeiten, lockerer zu werden und einige meiner Sorgen und Ängste abzulegen und loszulassen. Das ist allerdings gar nicht so einfach und gelingt mir oft nicht.
Wenn die Rübe rattert, ist meistens etwas nicht in Ordnung. Eine Lösung musste her.
Ich habe letztens etwas gelesen, was mich bewegte. Wahre Worte eines japanischen Schauspielers, die zum Nachdenken anregen. Ich habe diese Zeilen mittlerweile bestimmt schon 100-mal gelesen. Es hat mir jedes Mal geholfen, dem Gedankenwirrwarr zu entfliehen und in die Realität zurückzukehren. Die Realität ist, dass wir privilegiert sind, so eine Reise überhaupt machen zu können. Auch wenn vieles manchmal anstrengend und weniger schön ist, ist es dennoch eine wunderbare Sache. Zumindest in der Theorie.
Hier etwas zum Nachdenken:
Es gibt diejenigen, die sich einen Pool in ihrem Haus wünschen, während diejenigen, die einen haben, ihn kaum nutzen. Diejenigen, die einen geliebten Menschen verloren haben, vermissen ihn zutiefst, während andere, die ihn in der Nähe haben, sich oft über ihn beschweren. Wer keinen Partner hat, sehnt sich danach, aber wer einen hat, schätzt ihn oft nicht. Wer Hunger hat, würde alles für einen Teller Essen geben, während wer genug hat, sich über den Geschmack beschwert. Wer kein Auto hat, träumt davon, während wer es hat, immer ein besseres sucht. Der Schlüssel ist, dankbar zu sein, innezuhalten, um zu sehen, was wir besitzen und zu verstehen, dass irgendwo jemand alles geben würde, was du bereits hast und nicht zu schätzen weißt. Was wäre, wenn wir heute einfach mal dankbar sind... für all das, was wir haben?
Diese Worte sitzen. Ich habe alles. Andere würden sich dafür ein Bein abreißen. War ich also undankbar? Ich glaube, mit Undankbarkeit hatte es dann doch nichts zu tun. Was dann? Vermisste ich mein „altes Leben“? Schließlich merkt man erst, wenn man etwas nicht mehr hat, was man eigentlich hatte. Menschlich. Die Antwort lautete,“ jein“. Gewisse Dinge und einen gewissen Komfort zu haben, wäre in gewissen Momenten schön gewesen. Andererseits lernte man mit weniger auszukommen und merkte, dass man vieles eigentlich gar nicht braucht. Oder zumindest nicht in diesem Ausmaß, wie man es gewohnt war. Doch diesbezüglich werde ich irgendwann einmal am Ende unserer Reise detaillierter berichten und ein Fazit ziehen. In diesem Moment war es jedenfalls ein Mix aus allem. Gefühlschaos. Wir fanden bald heraus, was wir brauchten und was uns guttat.
Was willst du eigentlich Junge? Du hast keine Probleme. Halt deine Schnauze, schnapp dir deine Familie und mach dir eine gute Zeit, sagte ich zu mir selbst.
Wir haben alle Zeit der Welt. Und wir mussten zu Ruhe kommen. Wir beschlossen schleunigst, etwas zu ändern und Quantität durch Qualität zu ersetzen. Es war also naheliegend, dass wir zurück nach Thailand gingen. Es war nahe an Vietnam, ist deutlich „Internationaler“ und familiärer bzw. für Familien einfach besser zu bereisen. Wir fingen also wieder von vorne an.
Sawatdeekrap Motherfu****s, wir sind wieder da!
Die Kinder wünschten sich wieder mehr Kinderprogramme. Deshalb standen ein paar Tage Wasserrutsche und Kidsclub auf Phuket auf dem Programm. Einen Ort, den wir bisher in Thailand gemieden haben. Nach vier Nächten am Patong Beach hatten wir dann auch die Nase voll und erhielten die Bestätigung, dass die ursprüngliche Idee von „vermeide Phuket“ nicht verkehrt war. Es lag nicht an der Wasserrutsche. Eher an den Mitrutschenden. Gut, bei einem längeren Aufenthalt könnte man vielleicht Arabisch, Russisch und Chinesisch lernen. Auch nicht schlecht. Wir entschlossen uns allerdings dagegen, länger am Patong Beach zu verweilen und schipperten mit dem Speedboot nach Koh Yao Noi. Fast drei Monate verbrachten wir auf dieser Insel und wurden fast schon einheimisch. Koh Yao Noi ist überschaubar und nicht sonderlich touristisch. Zumindest nicht in der Nebensaison. Man findet hier noch ein authentisches Thailand. Kein Vergleich zu Phuket. Hier „wohnen“ die Menschen zum Teil noch in einfachen Holzhäusern oder Blechhütten. Trotz der Überschaubarkeit fand man dennoch alles, was man brauchte. Ab und zu musste man halt seine Ansprüche ein wenig senken und flexibler sein, da nicht immer alles verfügbar war. Aber das machte uns hier komischerweise nichts aus. So ist das Leben auf einer Insel eben.
Wir haben ein ruhiges Plätzchen gefunden und konnten zu Ruhe kommen. Passend für den Moment.
Wir verbrachten die ersten Tage in einer hübschen Bungalowanlage am Meer auf der Ostseite der Insel. Die Kinder hatten dort ab und zu auch andere Kinder zum Spielen. Das Essen war gut und der Strand sehr schön. Es waren sehr angenehme Tage. Tante Mela, welche allen Anschein nach jetzt Thailänderin geworden ist, lebte seit einigen Wochen auf der Insel. Sie entdeckte das Thaiboxen für sich und trainierte mehr, oder weniger fleißig in einem Gym, welches direkt am Wasser lag. Schon während unseres ersten Thailandbesuches wollte ich eigentlich einige Einheiten in einem Thaiboxgym absolvieren. Die Gesundheit machte mir jedoch einen Strich durch die Rechnung. Nun war es Zeit, dies nachzuholen. Aus lass doch mal zwei Wochen Thaiboxen, wurden dann fast drei Monate Trainingscamp.
Wir trainierten sehr hart und konnten so manchem Frust aus der Vergangenheit bekämpfen. Die negativen Gedanken und Gefühle waren weg.
Wir konnten alte Dämonen bekämpfen und durch den Sport Kraft tanken. Es war eine stressfreie Zeit. In den drei Monaten sind wir nur einmal umgezogen. Von der Bungalowanlage an der Ostküste ging es in die Nähe des KYN Thaiboxgym an die Westküste. Unser neues Haus war ein Bungalow, den die Kinder das gelbe Haus nannten. Es war absolut minimalistisch eingerichtet. Die Betten waren steinhart und das Licht in dem alten Badezimmer flackerte. Der Esstisch hatte nur drei Stühle. Eine Couch gab es nicht. Dennoch war diese „Crackhöhle“ unser Zuhause. Wir hatten sogar ein Haustier. Eine Katze. Die Kinder nannten Sie „Sushi“. Ich mochte den Flohbeutel erst nicht und wollte ihn verjagen. Sushi hat mir nachts immer den Roller mit ihren dreckigen Pfoten versaut. Jeden Morgen musste ich erst einmal den Rollersitz sauber machen.
Sushi, dieser vierbeinige Bandit, wusste genau, welches mein Roller war. Edisa’s Gefährt hatte das blöde Vieh nie dreckig gemacht.
Trotz meines Ärgers erfreuten sich die Kinder an der Katze. Und so kam es, wie es kommen musste. Ich knickte ein und kaufte Katzenfutter. Der Flohbeutel gehörte nun zur Sippe. Das sportliche Leben tat uns sehr gut. Wir konnten uns auspowern und hatten plötzlich wieder einen strukturierten Tagesablauf. Das hat uns gefehlt. Strukturiert zu leben, fiel uns auf unserer bisherigen Reise schwer. So schön wie die vielen Dinge, die wir bisher gesehen und erlebt haben, auch sind, aber die ständigen Tapetenwechsel erschweren ein strukturiertes Leben. Durch die festen Trainingszeiten hatten wir wieder Struktur. Dazu später mehr. Sosehr uns dieses Thaiboxen psychische Zufriedenheit verschaffte, so sehr hat es uns physisch jedoch erhebliche Schmerzen zugefügt. Für mich war es ein Flashback. Es fühlte sich an wie früher in den alten Eishockeyzeiten. Zwar sprechen wir hier von deutlich anderen Umständen. Das Eis wurde durch 35 Grad und eine brutale Luftfeuchtigkeit ersetzt und der Sinn des Sports ist ebenfalls ein anderer, aber es gibt gewisse Parallelen. Beide Sportarten sind explosiv und schmerzhaft. Blaue Flecken sind vollkommen normal. Wir entdeckten jeden Tag ein neues Muster.
Wir sahen aus wie Milkakühe. Solange es nur Blutergüsse und „Kleinigkeiten“ blieben war die Welt in Ordnung. Doch wer mich kennt, weiß, dass es eigentlich nie bei leichten banalen Verletzungen bleibt.
Im Vergleich zu früher gab es dann allerdings doch den einen oder anderen Unterschied. Nicht nur sportlich gesehen. Ich bin älter geworden und spürte es. Ich bin nicht mehr 20 Jahre alt. Während im Gruppentraining leichtfüßig um mich herum gekämpft wird, muss ich mich vermehrt konzentrieren. Gut, der schnellste war ich noch nie. Mit den Jahren ist es jedenfalls auch nicht besser geworden. Auch die Trainingsvorbereitungs- bzw. Nachbereitungszeit wurde länger. Meine zahlreichen Probleme müssen gut auf die Trainingseinheiten vorbereitet werden. Das alleine ist schon eine Trainingseinheit. Wir suchten uns hier eine heftige Sache aus. Thaiboxen ist nicht rhythmische Sportgymnastik und auch kein Schach. Extreme, schnelle Bewegungen an der Bewegungsgrenze, waren quasi eine Einladung für Zerrungen und Muskelfaserrisse. Aus „soft soft“ kann im Sparring ziemlich schnell ernst werden.
Es ist ja nicht so, dass ich hier mit einer weißen Weste antanzte, was körperliche Probleme, zwecks Abnutzung, Verschleiß etc. angeht. Ich spüre täglich die eine oder andere alte Eishockeyverletzung.
Das Alter war definitiv ein Unterschied zu früher. Dazu war meine körperliche Verfassung nicht wirklich gut. Die vielen Bierchen auf Bali haben ihre Spuren hinterlassen. Das wird einem auch direkt so vermittelt. Die Thais kennen diesbezüglich kein Feingefühl. Es war ein bisschen so wie mit den russischen und kanadischen Trainern auf dem Eis. Der Umgang war hart. Feingefühl? Fehl am Platz. Damit konnte ich umgehen.
„Oooooh you big belly. Not beautifuuuull“!
Ein weiterer Unterschied zu früher war, dass ich jetzt quasi mit meiner Familie im Trainingscamp wohnte. Wir trainierten 1–2 mal am Tag im Wechsel. Zwischen den Trainingseinheiten planschten wir mit den Kindern oder fuhren zum Strand. Ein erholsames Mittagsschläfchen war leider nicht möglich. Darum beneidete ich die überwiegend jüngeren Trainingsgenossen, welche ohne Kinder faul auf dem Liegestuhl liegen konnten. Ich quälte mich jeweils morgens von 08:00 - 09:30 Uhr im Gruppentraining. Wenn Edisa im Anschluss keine Privatstunde hatte, dann absolvierte ich am Nachmittag vor dem zweiten Gruppentraining eine Privattrainingseinheit. Edisa durfte nebst den erwähnten Privattrainings täglich nachmittags von 16:30 – 18:00 Uhr im Gruppentraining ran. Sie machte das wirklich super. Nach anfänglichen Zweifeln entwickelte sich eine neue Leidenschaft.
Leidenschaft. Ein schönes Wort. Man schafft Leiden. Das passt zu unserem neuen Hobby und zu meiner Frau 🤪
Spaß bei Seite. Meine bosnische Kampfmaschine machte das sehr gut, lernte schnell und machte es den Jungs schwer. Geschlechter gleiche Konkurrenz gab es wenig. Ihre mittlerweile thailändische Schwester hatte es mit dem Training wie schon erwähnt nicht mehr so genau genommen und andere Interessen verfolgt. Für vier Wochen kam dann Edina noch zu Besuch. Sie nutzte die Semesterferien, um sportlich aktiv zu werden. Die dritte Schwester im Bunde war deutlich fleißiger. Zwei Trainingseinheiten absolvierten die drei Musketiere dann doch noch alle zusammen. Es war schön zu sehen, wie sie sich „auf die Fresse“ gaben. Geschwisterliebe ist etwas Schönes. Die Kinder absolvierten übrigens auch zwei, drei Trainingseinheiten. Schließlich waren wir nun eine Familie, die in einem Thaiboxgym lebte. Sie machten das super. Luan hat jedoch mehr Interesse an Ringen oder Jiu-Jitsu. Der arme „Baw“ und der arme "Kea" (Trainer) mussten ihr Geld hart verdienen.
Die Kinder machten das super.
Es drehte sich alles um Muay Thai. Zumindest bei uns. Bei anderen nicht nur. Diese Insel ist ein wenig wie ein Dorf. Man hört viele verschiedene Dinge. Ja, auch in Thailand gibt es gossip. Hat man Kinder und trainiert fleißig, schläft man allerdings um 22 Uhr und kann sich von allen „Problemen“ fernhalten. Am nächsten Morgen im Training erfährt man dann wieder, was am Abend zu vor alles passierte. Das war oftmals sehr lustig zu hören und zu beobachten.
Leben und leben lassen.
In den drei Monaten gab es einige brenzliche Situationen. Edisa und Enaila haben mit dem Roller eine Schlange überfahren. Hört sich erstmal nicht wild an. Wenn man bedenkt, dass die Viecher auch schnappen können, dann ist das nicht mehr lustig und brenzlicher als gedacht. Da man meistens nur kurze Hosen und Schlappen trägt, ist man dieser Gefahr noch mehr ausgeliefert. Die Einheimischen raten zwar einem dazu, die Beine hochzureißen, sobald man eine Schlange sieht. Meistens jedoch zischen die Viecher so schnell über die Straße, dass man das nicht kommen sieht. In dem einen Video hat Edisa per Zufall gefilmt bzw. ist zu sehen, wie ich fast eine Schlange überfahren habe. Edisa und Enaila blieben unversehrt. Das ist das Wichtigste.
Bei uns erwischt es ab und zu mal eine Katze, einen Igel, einen Fuchs oder sonstige kleine Wildtiere. Hier in Thailand liegen tote Schlangen, oder Echsen auf der Straße.
Eine weitere brenzliche Situation war ein kleiner Rollerunfall. Luan und ich sind ein wenig zu schnell in eine Kurve gefahren und haben auf gut Deutsch: „Die Kurve nicht mehr gekriegt“, flogen einen Meter hinunter und landeten im Straßengraben. Ich versuchte Luan vor dem Aufprall zu schützen und zog ihn zu mir. Er konnte quasi auf mir landen. Ich habe dadurch mit der Schulter und dem Rücken den Aufprall ein wenig „abfedern“ können. Das gelang mir ziemlich gut. Der Junge blieb bis auf einen kleinen Kratzer unversehrt und kam lediglich mit dem Schrecken davon. Ich verhalf ihm zum Aufstehen, da er quasi auf mir lag. Er weinte vor Schreck. Aber es ging ihm gut. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Dann checkte ich erstmals meine Lage. Die war weniger gut. Ich lag immer noch im Straßengraben. Mein Fuß wurde leider ein wenig unter dem Roller eingeklemmt. Zwei Thais eilten zur Hilfe und haben mir geholfen, den Roller von mir runter und aus dem Straßengraben zu holen.
Mein Fuß hat es erwischt. Mein erster Gedanke war: „Mist, jetzt kann ich nicht mehr trainieren“.
Mein Fuß pochte wie verrückt. Kein gutes Zeichen. Wir fuhren zurück zum Haus. Ich benötigte Eis. Nachdem alle Seiten auf mich eingeredet hatten, holte ich am nächsten Tag dann doch kurz einen ärztlichen Rat ein. Ich musste wissen, ob der Fuß gebrochen war oder nicht. Nicht, dass ich ein paar Tage später mit einem angebrochenen Fuß in den Boxsack trete. Das wäre weniger vorteilhaft. Ab ins Krankenhaus. Die Insel verfügt über ein kleines Krankenhaus, welches wir davor schon einmal mit Luan besuchten (Ohrenentzündung). Ich lief da abends um ca. 21 Uhr rein, zeigte meinen Fuß und meinte, dass ich ihn gerne röntgen würde. 10 Minuten später war der Fuß geröntgt. Weitere 10 Minuten dauerte es, bis der Arzt mit seinem Roller vorfuhr und mit seinen Schlappen in Richtung Behandlungsraum schlenderte.
„Helo i am Doctor“ sagte er zu mir. „Helo Doctor“ erwiderte ich.

Aua.
Wir schauten uns die Aufnahmen gemeinsam an seinem Computer an. Alles in Ordnung. Obwohl in Ordnung vielleicht der Falsche Ausdruck war. Nichts gebrochen. 5 Tage später ging das Training wieder weiter. Ich kühlte meinen Fuß quasi rund um die Uhr zu Tode. Nur die harten kommen in den Garten. Mich hat das Thaiboxfieber gepackt und ich wollte wieder trainieren.
Sinnvoll war das nicht. Aber das war bislang vieles nicht in meinem Leben.
Fast täglich wurde ich von den Trainern gefragt, ob ich kämpfen möchte. Anfangs lautete meine Antwort Nein. Ich habe die wilden Tage hinter mir. Aber um so länger man diesen Sport betreibt, desto mehr Lust bekommt man sich auch zu messen. Ich änderte meine Antwort in vielleicht. Da ich mich allerdings ein paar Tage vor Abreise an meiner Rippe verletzte, war die Nummer erst mal vom Tisch. Wir haben den Aufenthalt auf Koh Yao Noi sehr genossen. Für die Kinder war es aber oftmals ein bisschen zu langweilig. Während unseres Insel-Aufenthalts machten wir deshalb den einen oder anderen Tagesausflug nach Phuket besuchten dort einen Indoorspielplatz, nahmen Arzttermine wahr, oder deckten uns mit Dingen ein, die es auf der Insel nicht gibt. Zwar könnte man sich auch vieles Online zusenden lassen, aber die Lieferzeiten sind da ein wenig länger, als wir uns das von Amazon Prime gewohnt sind. Dennoch nahmen wir das oft in Anspruch und es funktionierte einwandfrei. Nach zwei Monaten mussten wir zur Immigration, um unseren Aufenthalt um weitere 30 Tage zu verlängern. Wir übernachteten das Wochenende in Phuket Town. Nach einem bürokratischen Irrsinn erhielten wir die gewünschte Verlängerung. Wir erledigten einige Einkäufe, spielten Minigolf in einem Dinosaurierpark und aßen Sushi. Am nächsten Tag besuchten wir nochmals einen Indoorspielplatz, bevor wir dann wieder auf unsere Insel rüber schipperten. Die drei Monate verliefen rückblickend ziemlich schnell. Kurz bevor wir Thailand verlassen mussten, feierten wir Enailas Geburtstag. Die kleine Maus wurde drei Jahre alt. Sie hat sich super entwickelt und schwimmt und taucht wie ein Weltmeister. Die lieben Damen vom Massagesalon neben dem Gym erfreuten sich immer an den Kindern. Enaila hat sich auch schon die eine oder andere Massage gegönnt. Als Sie mitbekommen hatten, dass der große Tag vor der Tür stand, organisierten Sie einen Geburtstagskuchen in ihren Lieblingsfarben. Ihren Geburtstag verbrachten wir dann erneut in Phuket im Indoorspielplatz und im Sushirestaurant. Das war ihr Wunsch. Braves Kind. Als wir abends zurück auf die Insel kamen, wurde Enaila mit einem Prinzessinnenkuchen überrascht. Alles in allem war es ein schöner Tag. Das Kind war zufrieden.
Die letzten zwei Wochen plätscherten vor sich hin. Edina war längst wieder in Deutschland. Selbst Tante Mela hat den Weg nach Deutschland, wenn auch nur für kurze Zeit, gefunden. Wir waren wieder für uns und lebten in unserem Rhythmus. Nebst dem einen oder anderen Stromausfall passierte nichts mehr Spannendes. Einmal saß ich beim Friseur. Zack, war der Strom weg. Dan hieß es Stirnlampe an und weiter geht’s. Das Wetter konnte wirklich schnell kippen. Die Stürme haben es hier in sich. Ein Stromausfall kann gut mal zwei, drei Stunden dauern. Völlig Normal. So ist das Leben auf einer Thailändischen Insel.
Wir beschäftigten uns intensiv mit der Frage, wo wir denn als Nächstes hingehen bzw. hinreisen sollen und haben einen ultimativen Plan erstellt. Jahresendspurt. Ultimativ wurde das Ganze dann auch. Ultimativ emotional und ultimativ teuer. Aber eins nach dem anderen. Wir wollen ja nicht 4 Länder überspringen. Die nächste größere Reise sollte Japan werden. So viel Positives hörte man über Japan. Die Vorfreude war groß. Ehrlicherweise waren wir andererseits auch traurig, da wir das Inselleben mit unserem neuen Hobby liebgewonnen hatten. Aber gut. Wir mussten das Land schließlich verlassen. Der Tapetenwechsel sollte uns jedoch auch ein bisschen mehr Komfort mit sich bringen. Wir fieberten also so manch positiven Dingen entgegen. Unsere Herzen schlugen höher, wenn wir an eine gewisse Grundhygiene, welche bis jetzt, abgesehen von Singapur nicht vorhanden war, an bequeme Betten, japanische Toiletten, Sushi, zahlreiche kulinarische Köstlichkeiten, freundliche und verrückte Menschen und ein generell sehr kulturreiches und geschichtsträchtiges Land, dachten. Wir waren zwar im Paradies, verzichteten jedoch auf all diese komfortablen Dinge. Die Medaille hat wie immer zwei Seiten. Das Leben auf Koh Yao Noi war wie in einer Blase. Es war eine andere Welt. Unbeschwert. Man kann hier herumlaufen, wie man möchte, ohne verurteilt zu werden. Ein Loch im T-Shirt oder ein Fleck auf der Kleidung interessieren hier niemanden. Man kann hier mit zwei Kindern auf dem Roller, einem aufgeblasenen, 1,50 Meter großen "Krokodilfloati", einem Einhornschwimmreif, einer Trainingstasche, einer IKEA-Tüte voller Spielsachen, einer Tasche mit Anziehsachen und Malheften, vollgepackt und ohne Helm, an der Polizei vorbeifahren. Wenn noch eine Hand frei war, dann konnte man freundlich winken. That's it. Selbst der Hund kann auf dem Roller mitfahren. Den Schlüssel lässt man übrigens einfach stecken. Selbst beim Einkaufen im einzigen 7Eleven / Supermarkt, oder am Pier, wenn man einen Tagesausflug macht und die Insel verlässt. Es passiert nichts. Auch nachts steckt der Rollerschlüssel im Roller vor der Haustüre. Viele schließen übrigens ihre Häuser auch nicht ab. Daran musste man sich erst einmal gewöhnen.
Bye Bye entspanntes Insel Leben. Son - Guku, Tsubasa, Pikachu wir kommen (bald)!
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